Gerichtsurteile mit Folgen für Arbeitnehmer & Verbraucher

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Gerichtsurteile klären strittige Rechtsfragen und sind auch für andere Fälle, welche die sachlichen Voraussetzungen erfüllen, richtungsweisend. Aus diesem Grund haben Gerichtsurteile manchmal Folgen für alle Arbeitnehmer oder Verbraucher.

Sind Gerichtsurteile bindend?

Mit einem Urteil entscheiden Richter über eine strittige rechtliche Frage. Dieses Urteil ist allerdings nicht generell für andere Gerichte bindend, denn in Artikel 97 des Grundgesetzes ist klar geregelt, dass Richter bei ihrer Rechtsprechung nur den Gesetzen unterworfen und ansonsten unabhängig sind. Daraus folgt, dass Richter bei ihrer Entscheidungsfindung nicht einmal an die bereits gefällten Urteile übergeordneter Instanzen gebunden sind.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel bilden die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die teilweise sogar Gesetzeskraft entfalten. In Artikel 31 BVerfGG (Bundesverfassungsgerichts-Gesetz) ist definiert, dass die Urteile der obersten deutschen Richter bindend sind für:

  • Verfassungsorgane des Bundes
  • Verfassungsorgane der Länder
  • Behörden
  • Gerichte
Richter fällen ihre Urteile auf Basis der geltenden Rechtsnormen. Da diese sehr oft abstrakt formuliert sind, ermöglichen sie dem Richter einen Ermessens- und Interpretationsspielraum.

Richter fällen ihre Urteile auf Basis der geltenden Rechtsnormen. Da diese sehr oft abstrakt formuliert sind, ermöglichen sie dem Richter einen Ermessens- und Interpretationsspielraum. (#03)

Warum entscheiden Richter ähnliche Fälle teilweise unterschiedlich?

Richter fällen ihre Urteile auf Basis der geltenden Rechtsnormen. Da diese sehr oft abstrakt formuliert sind, ermöglichen sie dem Richter einen Ermessens- und Interpretationsspielraum. Ein wichtiger Teil der richterlichen Tätigkeit besteht in der Auslegung der Rechtsnormen und deren Anwendung auf den konkret zu beurteilenden Fall. Ein Gerichtsurteil kann deshalb selten als eindeutig richtig oder falsch bezeichnet werden. Die Rechtsmeinung des Richters hat immer einen Einfluss auf seine Entscheidung.

Im deutschen Recht gibt es außerdem keine Präzedenzfälle, bei denen das Urteil für andere vergleichbare Rechtsfragen bindend ist. In Deutschland ist es also theoretisch möglich, dass ein Richter am Amtsgericht dem Urteil des BGH (Bundesgerichtshof) widerspricht und anders entscheidet. Dies kommt allerdings sehr selten vor. In der Mehrzahl der Fälle ist es wahrscheinlich, dass ähnliche Sachverhalte zumindest ähnlich beurteilt werden. Anwälte berufen sich bei ihren Begründungen auf bereits gefällte Urteile. Aus diesem Grund entfalten Urteile, die von Interesse für ganze Bevölkerungsgruppen sind, auch tatsächlich eine über den Einzelfall hinausgehende Wirkung.

Gerichtsurteile mit Folgen für Arbeitnehmer

Immer wieder werden Meldungen publiziert, die über Gerichtsurteile in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen informieren, welche für die Allgemeinheit aller Arbeitnehmer relevant sind und deshalb beachtet werden sollten.

Video: Kündigung wegen Krankheit – Chance auf eine Abfindung? I Fachanwalt Bredereck

Kündigung nach Krankheit

Der gesetzliche Kündigungsschutz verbietet grundsätzlich die Kündigung nach oder aufgrund einer Krankheit. Dieser Schutz gilt jedoch nicht für Mitarbeiter kleinerer Firmen. Hat der angestellte Schreiner eines kleinen Handwerksbetriebes wiederholt krankheitsbedingt gefehlt, darf sein Chef ihm aus diesem Grund die Kündigung aussprechen.

Das Landesarbeitsgericht in Rheinland-Pfalz (1 Sa 89/16) stellte die Interessen des Betriebs über die Interessen des Mitarbeiters. Ein kleines Unternehmen kann in existenzbedrohende Schwierigkeiten geraten, wenn einer der Mitarbeiter wiederholt oder sehr lange aufgrund von Krankheit fehlt. Dieses Urteil ist somit für alle Angestellten in kleineren Firmen wichtig.

Haftung für Impfschäden nach Impfung durch Betriebsarzt

Viele größere Unternehmen haben einen eigenen Betriebsarzt, der sich um die Gesundheit der Mitarbeiter kümmert. Im Rahmen der Gesundheitsvorsorge bieten Betriebsärzte auch Grippeschutzimpfungen statt. Das Bundesarbeitsgericht entschied mit seinem Urteil (8 AZR 853/16), dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Schmerzensgeld vom Arbeitgeber hat, wenn die Impfung bei ihm einen Impfschaden verursacht.

Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass der Arbeitgeber seine Aufklärungspflichten nicht verletzt hat, denn der Behandlungsvertrag kommt zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsarzt zustande. Etwaige Forderungen muss der Arbeitnehmer deshalb an den Betriebsarzt und nicht an seinen Arbeitgeber stellen.

Video: Low Performer – Minderleistung

Kündigung wegen Schlechtleistung

Immer wieder klagen Arbeitnehmer, deren Kündigung mit Schlechtleistung begründet wurde und fordern die Einhaltung des Kündigungsschutzes. Diese Auffassung teilte auch die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg (Az. 3 Ca 1305/17). Der Arbeitgeber darf eine Kündigung wegen Schlechtleistung nur aussprechen, wenn er die Arbeitsleistung des betreffenden Mitarbeiters in Relation zu der aller anderen Mitarbeiter, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, setzt. Nur wenn dieser Vergleich eindeutig beweist, dass die Leistung des Arbeitnehmers tatsächlich erheblich unter der seiner Kollegen liegt, ist die verhaltensbedingte Kündigung rechtmäßig.

Video: Das Weihnachtsgeld wird gekürzt, kann der Betriebsrat dagegen etwas unternehmen? | Betriebsrat Video

Kürzung von Sonderzahlungen

Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld werden in vielen Unternehmen regelmäßig gezahlt und aus diesem Grund von den Beschäftigten einkalkuliert. Es stellt sich die Frage, ob diese Zahlungen für bestimmte Beschäftigte einbehalten oder gekürzt werden dürfen. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern stellte in der Begründung seines Urteils (5 Sa 209/15) fest, dass Ausnahmen und Ungleichbehandlungen begründet werden müssen.

Eine Ausnahme kann mit einer geringen Betriebszugehörigkeit begründet werden und im fraglichen Jahr neu angestellte Mitarbeiter betreffen. Eine längere Krankheit wird hingegen nicht als Begründung für das Einbehalten oder die Kürzung von Sonderzahlungen akzeptiert. Generell gelten die Voraussetzungen, die an die Zahlungen geknüpft werden, im Sinne der Gleichbehandlung für alle Mitarbeite

Da es in Deutschland für die Verbraucher bisher noch nicht die Möglichkeit gibt, sich für eine Sammelklage zusammenzuschließen, ist es hierzulande schwieriger, Verbraucherrechte durchzusetzen. (#01)

Da es in Deutschland für die Verbraucher bisher noch nicht die Möglichkeit gibt, sich für eine Sammelklage zusammenzuschließen, ist es hierzulande schwieriger, Verbraucherrechte durchzusetzen. (#01)

Gerichtsurteile mit Folgen für Verbraucher

Der Verbraucherschutz ist ein wichtiges Anliegen des Gesetzgebers und deshalb sind entsprechende Urteile von allgemeinem Interesse. Da es in Deutschland für die Verbraucher bisher noch nicht die Möglichkeit gibt, sich für eine Sammelklage zusammenzuschließen, ist es hierzulande schwieriger, Verbraucherrechte durchzusetzen. Welche Bedeutung diese Tatsache hat, wurde beim VW-Dieselskandal deutlich. In den USA, wo Sammelklagen möglich sind, konnten VW-Kunden schneller und einfacher ihre Rechte geltend machen. Die Hemmschwelle vor der Klage gegen einen Global-Player ist dort deutlich niedriger.

Unfall beim Einkaufen

Wird ein Kunde in einem Ladengeschäft verletzt, weil beispielsweise eine Kellerluke geöffnet ist, ohne dass entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden, trifft den Ladenbetreiber die volle Schuld an dem Unfall. Kunden müssen allgemein nicht damit rechnen, derartigen Unfallgefahren ausgesetzt zu sein. Das Oberlandesgericht Hamm stellte in seiner Entscheidung (9 U 86/17) fest, dass die Haftpflichtversicherung des Geschäftsinhabers die Behandlungskosten in vollem Umfang übernehmen muss.

Die genannten Beispiele zeigen, dass viele Gerichtsurteile Auswirkungen auf die Allgemeinheit oder bestimmte Gruppen der Bevölkerung haben. (#02)

Die genannten Beispiele zeigen, dass viele Gerichtsurteile Auswirkungen auf die Allgemeinheit oder bestimmte Gruppen der Bevölkerung haben. (#02)

Bezahlung per Lastschrift im Online-Shop

Das Lastschriftverfahren ist eine gängige Zahlungsmethode, die von vielen Online-Händlern angeboten wird. Kunden, die einen Wohnsitz in Deutschland haben, dürfen ein Konto innerhalb des EU-Auslands für die Abwicklung des Lastschriftverfahrens angeben. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinem Urteil (4 U 120/17) festgelegt, dass die Online-Händler den Kunden nicht vorschreiben dürfen, ob sie ein Konto in Deutschland oder im EU-Ausland nutzen. Dieses Urteil ist vor allem für Kunden, die in Grenzregionen leben und pendeln, von Relevanz.

Einschränkung von Bankgebühren

Bankgebühren und die kryptischen AGBs, in denen diese festgelegt und begründet werden, sind ein ständiges Ärgernis für die Bankkunden. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil ((XI ZR 590/15) eine ganze Reihe von Gebühren für gesetzeswidrig erklärt. Das betrifft beispielsweise die Erhebung von hohen Gebühren für die postalische Benachrichtigung, wenn eine Überweisung abgelehnt wurde. Es dürfen auch keine Kosten in Rechnung gestellt werden, wenn ein Dauerauftrag gelöscht wird. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Urteilen, mit denen Gerichte die Praktiken der Banken unterbinden. Bankkunden, die Zweifel an der Erhebung von Gebühren haben, können sich bei der Verbraucherzentrale informieren.

Video: Lebensversicherungsreformgesetz

Lebensversicherungsreformgesetz ermöglicht Kürzung der Zahlung

Kapitallebensversicherungen waren jahrzehntelang eine wichtige Säule der privaten Altersvorsorge. Aufgrund der Niedrigzinspolitik wird es für die Versicherungsgesellschaften immer schwieriger, die Gewinne zu erwirtschaften, mit denen die versprochenen Überschussbeteiligungen finanziert werden. Der Bundesgerichtshof urteilte (Az. IV ZR 201/17), dass die Versicherer Erträge aus den Bewertungsreserven zurückhalten dürfen. Ziel war die Stärkung des Solidarprinzips.

Die Versicherungsgesellschaften dürfen in Aussicht gestellte Beteiligungen an Überschüssen kürzen, wenn diese das Unternehmen wirtschaftlich gefährden und für künftige Auszahlungen anderer Kunden nicht genug Kapital übrigbleiben würde. Verbraucher, die das Pech haben, dass ihre Lebensversicherung ausgerechnet während der Zinsflaute ausläuft, müssen also Kürzungen akzeptieren, damit für die anderen Versicherten noch Geld zur Verfügung steht.

Auswirkungen von Urteilen auf die Allgemeinheit

Die genannten Beispiele zeigen, dass viele Gerichtsurteile Auswirkungen auf die Allgemeinheit oder bestimmte Gruppen der Bevölkerung haben. Wenn man bei strittigen Rechtsfragen Informationen benötigt, ob es zu einem ähnlichen Fall bereits ein Gerichtsurteil gibt, kann man sich im Internet über die neuesten Entscheidungen deutscher Gerichte informieren.

Diese Informationen ersetzen jedoch nicht die Notwendigkeit, im konkreten Fall den Rat eines Fachanwalts einzuholen. Jeder Rechtsfall ist anders und wie oben erläutert, ist die Auslegung der Rechtsnormen von Seiten des Richters entscheidend und kann durchaus unterschiedlich ausfallen.


Bildnachweis:©Shutterstock-Titelbild: Piotr Adamowicz  -#01: Robert Kneschke- #02: Alexander Limbach  -#03: Anneka

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